Dort hinten komme Ernst, hatte einer von ihnen halblaut behauptet und den, den sie Ernst nennen würden, nicht mehr aus den Augen gelassen, so dass im Visier des nunmehrigen Gesichtsfeldes all jene entbehrlich, die ein früher Nachmittag oder sonst ein Geschick hier passieren hieß.
Indem derjenige, auf dessen Sehschärfe noch immer Verlass war, einige Fingerbreit beiseite rückte und seinen Banknachbarn bedrängte, ein Gleiches zu tun, war der Angekündigte zwar noch nicht auf Rufweite herangekommen, mittlerweile von den übrigen jedoch ebenfalls erkannt worden; auch sie konnten nun nicht mehr umhin, eine ähnliche Bereitschaft anzudeuten, nämlich den Ankömmling in ihrer Mitte aufnehmen zu wollen, was bei einem in einer eher lächerlichen Bewegung zum Ausdruck kam und zu einem grotesk anmutenden Wippen führte, das in einem knappen Vor- und Zurückrücken des Oberkörpers endete, weil dessen Nebenmann zur Linken auf seinem Platze ebenso vierschrötig wie unbeweglich hocken blieb.
Sie pflegten sich an nahezu jedem dieser Spätsommertage hier zu treffen, wo sie stundenlang eine sonnenbeschienene öffentliche Bank besetzt hielten und in teils aufrechter Haltung hier saßen, meist die Hände über den Knäufen und Griffen ihrer Stöcke verschränkten oder sich darauf aufstützten und, wenn es sich ergab, die von wandernden Schatten berührten Bänke mieden, wobei die Rituale sich immer glichen, wenn sie, zu viert herangeschlendert, während der letzten Meter unmerklich das Schrittempo zu beschleunigen wussten – weil diese Bänke immer nur dreien von ihnen angemessenen Platz boten, so dass der Vierte mit einer Sitzgelegenheit nebenan oder gar abseits vorlieb nehmen musste, was jedem, den es betraf, missfiel. Unterhaltungen oder die beliebten Mutmaßungen über Vorübergehende gediehen in der Regel ohne diesen letzten, und alle hatten die Erfahrung schon miteinander geteilt, dass es in der Runde als unbedeutend galt, was der entferntere Banknachbar in jedwedem Zusammenhang guthieß oder bestritt.
Indessen hatte Ernst, wenn er sich blicken ließ, immer Neuigkeiten parat, sie schienen ihm förmlich zuzufliegen, immer gab er etwas zum besten, was zu bedenken, zu kommentieren oder zu bewitzeln war, und heute saßen die Vier nicht allzuweit auseinander: Die Bänke am Rande des Busbahnhofes waren hier paarweise im Abstand von etwa einem Meter von Buschgruppen eingegrenzt und zwei davon waren unbesetzt gewesen; diese Uhrzeit bot noch am ehesten die Chance, dass man am Geschehen ringsum teilhatte und dennoch unter sich blieb.
Kurzum, man kannte sich aus, und Ernst trat heran, und alle frohlockten.
Ah, der Ernst, sagte der, welcher ausgerufen, dass es Ernst sei, der dort hinten komme, wie er sich auch in Positur gesetzt hatte, um als erster dessen Rechte zu ergreifen.
Grüß Gott, sagten beide.
Sodann reichte Ernst allen anderen ebenfalls die Hand, jedem ein Grüß Gott widmend, und jeder dankte und erwiderte dasselbe.
Was er sage, wollte der wissen, der noch immer über die Augen eines Scharfschützen verfügte.
Ja, drängte sein Nachbar.
Was ich sag’? gab Ernst diese Frage zurück und legte eine Pause ein, dehnte ein zögerndes Ja, fügte ein unschlüssiges Was hinzu, als ob er überlege, bevor er endlich sagte, dass Franz, dass der Franz gestorben sei.
Wer, fragt der von vorhin prompt, nicht weil er es genau wissen will oder er sich verhört haben könnte, sondern weil die unerwartete Mitteilung ihm diesen Reflex entlockt.
Ihm zugewandt wiederholt der abseits Sitzende den Namen. Der Franz, sagt er.
Letzte Woch’, ergänzt Ernst.
Alle schweigen.
Der Sprecher der Gruppe wendet sich erneut an Ernst. Wann er gestorben sei, erkundigt er sich.
Am Freitag, antwortet Ernst, letzte Woch’ – und hält inne, da die Tonfolge eines näherkommenden Signalhorns hörbar wird und die Blicke aller ablenkt.
Halt, ruft einer der Sitzenden, er müsse gucken, dies sei der Notarzt.
Der Notarztwagen, pflichtet jener bei, der bislang geschwiegen hat, der fahre hier jeden Tag lang.
Ich kenn’ ihn genau, lärmt der Vorherige und knufft erregt mit dem Gummipuffer seines Stockes den Asphalt zu seinen Füßen, es is’ der Notarzt. Und das Durcheinander übertönend, beharrt der Wortführer, dass sogar operiert werde in den neuen Sankas!, was eine Zäsur schlägt gleich einem Funken; unterdessen eilt ein Großraum-Einsatzfahrzeug des Rettungsdienstes, Hindernisse souverän umkurvend, die Hauptstraße entlang.
Der Malteser, wird aus der Runde bestätigt, und nach und nach gilt die uneingeschränkte Aufmerksamkeit wiederum Ernst.
Blutdruck, bescheidet dieser knapp den Fragesteller, der Einzelheiten im Hinblick auf das Ableben von Franz erfahren möchte.
Derjenige, der darauf hingewiesen hatte, dass der Notarztwagen hier täglich langfahre, sagt nun, es sei recht, dass der gestorben sei.
Eine Erlösung, meint ein anderer.
Auch der Einsilbige gerät sichtlich in Eifer. Der war zu dünn, ruft er, da war ja nix dran!
Dass der Körper keine Widerstandskraft gehabt und er dies immer gewusst habe, betont der, der als erster seine Genugtuung über die Nachricht vom Tode Franz’ bekundet hatte.
Darauf angesprochen, nennt Ernst den Zeitpunkt des Begräbnisses. Heute. Fuffzehn Uhr, sagt er, und dass er bei den Partisanen gewesen sei, der Franz.
Gleichsam unbeachtet bleibt der Einwand von nebenan, laut dem die Reise zuviel gewesen. Wie wohl auch das Programm? Nämlich achtzehnhundert Kilometer?
Aber die Schwester aus der Tschechei gebe es noch, weiß Ernst des weiteren zu berichten.
Die kleine Dicke, erinnert sich einer und erntet Widerspruch, weil er nun die Schwester mit der überdies ledigen Base verwechsle, wie ein Dritter lebhaft und belehrend einwirft.
Jetzt habe er immer geglaubt, schlägt sich jener verwundert an die Stirn, der den Tod von Franz so unverhohlen gutgeheißen hatte, dass letztere verheiratet sei, worauf ihm entgegnet wird, dass er die Schwester meinen müsse, die Schwester.
Ja, nickt und lacht man ihm reihum, seinen Irrtum bedeutend, zu.

 

 

Name der Autorin/des Autors
Peter Bähr
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einverstanden
ÜBER FRANZ

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