Leider geil
Wie die Welt an der „Gönn’ dir Mentalität“ zugrunde geht.
Wir alle kennen diesen Moment: Wir stehen im Supermarkt, im Bekleidungsgeschäft oder im Handyshop und ringen mit unserem Gewissen. Der Schokoriegel von Nestlé, die Jeans zum Spottpreis oder das neueste Smartphone sind nur allzu verlockend. Es steht außer Frage, wir wollen dieses Produkt haben. Und dennoch ist da dieses leise Stimmchen im Hinterkopf, das uns zur Ordnung rufen will. Schließlich ist doch allgemein bekannt, dass für eine einzige Jeans tausende Liter Wasser verbraucht, für unsere Handys Kinder in Bergwerken ausgebeutet werden und Nestlé sowieso als das pure Böse gilt. Für uns, die wir uns zur Gruppe der bewusst lebenden Menschen zählen, ist dieser innere Konflikt in unserem ständig von Konsum begleiteten Leben längst zum Alltag geworden. So treten wir von einem Fuß auf den anderen und kauen den Gedanken immer wieder aufs Neue durch. Sollen wir unser Bedürfnis über unseren Verstand hinweg befriedigen? Wir wissen, dass unser Planet und damit unsere Zukunft in größter Gefahr sind. Wir wissen, dass wir die letzte Generation sind, die noch etwas dagegen unternehmen kann. Wir wissen, dass wir handeln müssen. Dass wir nicht warten dürfen, weil morgen von heute abhängt.
Aber hey, keiner kann die ganze Welt retten. Wir tun doch eh schon etwas. Immerhin, wir fahren so oft es geht mit dem Zug. Also bitte. Jeder hat nun mal Bedürfnisse. Wir dürfen doch vor lauter Klimaschutz nicht auf uns selbst vergessen! Also, ist schon okay. Gönn’ dir!
So geben wir ihm nach, dem Verlangen nach dem neuen Handy, in dem Wissen, dass wir bald ein noch besseres finden werden. Dem Gusto nach dem Cordon bleu, in dem Wissen, dass es nicht einmal besonders gesund ist. Der Verlockung eines billigen Fluges ins Nachbarland, in dem Wissen, dass wir genauso mit dem Zug fahren könnten.
Für all das gibt es eine simple Erklärung: Der Mensch ist bequem, um nicht zu sagen faul. Unsere heutige Zeit, in der man im globalen Norden durch Dinge wie Onlineshops oder Last-Minute-Flugbuchungen nahezu alles rund um die Uhr zur Verfügung oder zumindest in greifbarer Nähe hat, begünstigt dies nur allzu sehr. Zu allem Überfluss die bittere Tatsache, dass wir unseren Lebensstandard kaum zu schätzen wissen, sondern vielmehr als normal betrachten.
Was wollen wir also tun? Wollen wir wirklich den Konsum unserer schmackhaften tierischen Produkte aufgeben? Wollen wir wirklich von unserer Kultur des Reisens ablassen? Wollen wir wirklich einsehen, dass Fast-Food und Fast-Fashion nichts sind, was wir auch nur ansatzweise zum Überleben brauchen?
Nein, das wollen wir nicht. Aber wir sollten. Wir müssten.
Etwas jedoch ist sicher:
Wir werden nicht sagen können, wir hätten nichts gewusst.
Wir werden nicht sagen können, wir konnten nichts verändern.
Wir werden nicht sagen können, wir hätten es versucht.
So bleibt alles beim Alten, wir bleiben unseren Gewohnheiten treu. Wie furchtbar gut wir doch darin sind, unsere Augen vor der Wahrheit zu verschließen. Weil es unangenehm wäre, hinzusehen und zu erkennen, dass wir uns ändern müssten. Weil es zweifelsfrei schwer ist, einzusehen, dass etwas zu tun nicht genug ist. Denn eine weltweite Krise verlangt große, einschneidende, umkrempelnde Taten. Von allein dieser Vorstellung überfordert, wenden wir uns ab.
Und so gönnen wir uns eben, vom täglichen Fleischkonsumenten über den leidenschaftlichen Amazonkunden bis hin zum Politiker, der um keinen Preis seine Wählerstimmen riskieren würde. Alleine werden wir von ihnen stehen gelassen, während die Zeit davonrennt.
Und am hintersten Ende dieser langen Kette steht sie, die eine, der alles genommen und gar nichts gegönnt wird. Die Erde, die von uns, den Gierigen, verschlungen wird.
Welch maßlose Wesen wir doch sind.