Herrchenrasse

Herrchenrasse.

Europa war ihm noch oft genug ein Buch mit sieben Siegeln, hatte er sich auch in intensiver Lektüre mit der Geschichte des Kontinents beschäftigt, der ihm vor drei Jahren Zuflucht geworden war. Anders als häufig behauptet, schien ihm die absolute Monarchie hier allerdings noch längst nicht vollständig abgeschafft zu sein, nur auf eine andere Ebene transformiert, die offenbar der hingebungsvollen Liebe der Menschen zur vierbeinigen Kreatur Rechnung trug. Für seine humorvolle Beschreibung des Zeremoniells, wenn bisweilen gar eine ganze Gruppe in gespannter Erwartung einen pressenden Hund umringte, um dann nach erfolgreicher Verrichtung aus der Qualität von dessen Geschäft Rückschlüsse auf seine Gesundheit zu ziehen und Vorzeichen für eine günstige Zukunft zu deuten wie einst bei Ludwig XIV., bevor selbige Hinterlassenschaft feierlich mithilfe eines eigens hierfür vorgesehenen Plastikbeutels aufgelesen wurde, erntete er viel Applaus und bemühte sich, vor dem Publikum seine Enttäuschung zu verbergen, dass sich nach dem Vortrag kaum einer der Zuhörenden für ihn als Autor interessierte, der, da bekennender Demokrat, in seinem Heimatland mehr als einmal nur knapp der Folter entgangen war, als deren Vollstrecker bevorzugt solch tollwütige Bestien zum Einsatz kamen, wie sie in seiner neuen Umgebung in letzter Zeit als Begleiter beim Gassigehen in Mode gekommen waren.

Name der Autorin/des Autors
Wolfgang Wurm
Herrchenrasse

Ein Kommentar zu „Herrchenrasse

  • 17. Mai 2020 um 19:21 Uhr
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    Texte müssen mich berühren, dürfen gern Fragen aufwerfen und gedanklich nachklingen. Das gelingt wenigen so gut wie Wolfgang Wurm – in diesem Fall noch gewürzt mit Humor.

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